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Interview mit Frau Dr. Marosi

Über Land, Leute und Ungarisch lernen

Dr. Ildikó Marosi

Fragen zur ungarischen Sprache und Mentalität in Ungarn

Auf welche Schwierigkeiten stoßen besonders Deutsche beim Erlernen des Ungarischen?

Die Vokalharmonie ist für Deutsche ungewöhnlich und die zweiteiligen Konsonanten können am Anfang auch eine Schwierigkeit bedeuten. Außerdem werden in der ungarischen Sprache Suffixe benutzt, die am Ende eines Wortes stehen. 

Die Besonderheit der ungarischen Verben ist, dass die konjugierte Verbform wesentlich mehr Informationen enthält als bei den meisten indoeuropäischen Sprachen. Das heißt, die ungarischen Verbalsuffixe drücken die Person, den Numerus des Subjekts sowie das Akkusativobjekt aus. Das Verstehen und Nutzen der Konjugation von transitiven und intransitiven Verben ist nicht einfach.

Später kann die Flexibilität der Wortreihenfolge im Satz uns verwirren.

Wie viele Stunden Ungarisch-Unterricht braucht man ungefähr, bis man sich ohne Probleme im Land bewegen kann?

Ungarisch gehört zu der Kategorie 4 unter den Sprachen. Das heißt, 44 Wochen oder 1100 Stunden braucht man, um die Sprache problemlos nutzen zu können und stabil zu beherrschen.

Bitte nennen Sie uns 5 Tipps für alle, die Ungarisch lernen möchten.

1. Die Motivation für das Erlernen der neuen Sprache ist am wichtigsten.

2. Daneben braucht man eine Aufgeschlossenheit für die neue Logik der Sprache.

3. Die regelmäßige Wiederholung der Grammatik und des Wortschatzes ist eine weitere Bedingung. Nicht stoppen!

4. Alle Grundfertigkeiten beim Lernen sollten berücksichtiget werden: Lesen, Hören, Sprechen, Schreiben.

5. Suchen Sie einen Bekannten, Partner/Partnerin und nutzen Sie jede Möglichkeit/Gelegenheit, um die Sprache zu üben.

Worin unterscheidet sich der Alltag in Ungarn von dem in Deutschland besonders deutlich?

Viele Geschäfte haben auch sonntags geöffnet. Daneben gibt es kleinere Lebensmittelläden, die rund um die Uhr geöffnet haben.

Die Tabakwaren kann man ausschließlich in speziellen Tabakläden kaufen.

Die Läden, Geschäfte, Hotels, die von Touristen besuchten Orte, Sehenswürdigkeiten akzeptieren Euro, d. h. für ein paar Tage kann man auch ohne Forint leben. Die aktuellen Wechselkurse sind an den Kassen sichtbar.

Das Rauchen ist an öffentlichen Orten, Räumen (auch an den Haltestellen!) verboten.

EU-Bürger ab 65 Jahren können mit öffentlichen Verkehrsmitteln kostenlos oder mit einer bezahlten Platzkarte fahren.

In den Straßenbahnen, O-Bussen gibt es keine Ticketautomaten. Ein Fahrschein soll vor der Fahrt gekauft werden.

Was die Busse betrifft, darf man oft nur vorn einsteigen. Wenn jemand in der Mitte einsteigt, muss man beim Chauffeur das Ticket oder die Fahrkarte vorzeigen, sonst fährt der Bus nicht weiter.

Viele Dienstleistungen, z. B. Terminvereinbarungen in öffentlichen Einrichtungen, sind online möglich (Gesundheitswesen, Schulsystem, öffentliche Verwaltung). Die Gebäude in der öffentlichen Verwaltung werden durch bewaffnete Personen des Sicherheitsdienstes geschützt.

Die Ungarn halten weniger „Abstand“ voneinander. Duzen wird auch am Arbeitsplatz akzeptiert, die Menschen reden einander regelmäßig mit Vornamen an. Am Arbeitsplatz feiern sie eher den Namenstag statt den Geburtstag.

Handgeben mit Frauen ist nicht üblich (Ausnahme bei der Vorstellung). Aber Kussgeben ist möglich, auch unter Männern (unter Freunden, Verwandten).

Sprechen über Geld, Finanzstatus ist zu vermeiden.

Ungarn verneinen weniger direkt, sie verpacken ihr „nein“ in Watte.

Ungarn ist ein maskuliner Staat: Dem Chef zu widersprechen kann eine negative Konsequenz nach sich ziehen.

Die typischen Wohnungen in Ungarn sind relativ klein, aber die Küchen sind nicht nur für Kochen geeignet, sondern auch für Essen. In Mehrfamilienhäusern gibt es weder Waschkeller noch Trockenraum. Der Lichtschalter funktioniert umgekehrt, man muss darauf achten, welche Position bedeutet „an“ und welche „aus“.

Der Sommer ist trockener und wärmer, es gibt manchmal mehrere Wochen ohne Regen, aber mit Hitze. Das Land ist konservativer als Deutschland, d.h., es gibt kaum FKK-Strände und ein Saunabesuch ist meistens mit Körperbedeckung erwünscht. Die Parkplätze sind oft kostenpflichtig.

Welches sind die größten „Fettnäpfchen“, die auf einen Deutschen in Ungarn warten?

In Ungarn gibt es ein starkes, gesetzlich geschütztes, traditionelles Geschlechtsbild, das zu respektieren erwartet wird.

Im neuen Jahr gehört es sich, zuerst dem Mann „Gesundes neues Jahr“ zu wünschen.

Nach dem Alter einer Frau zu fragen, gilt als unhöflich.

Ein Essen/Trinken-Angebot abzulehnen, gilt auch als unhöflich.

Man soll die Frage „Wie geht es Dir?“ sehr vorsichtig nutzen. Auf die Frage kann typischerweise ein langes oder ggf. endloses Jammern als Antwort kommen.

Gibt es ein Lebensmotto der Ungarn? Wenn ja, wie heißt es?

Ein typisches, allgemeines Lebensmotto kann ich nicht formulieren.

balaton Ungarisch - Interview mit Frau Dr. Marosi - Spracheninstitut Universität Leipzig

Balaton
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DREI FRAGEN ZUM LAND UNGARN

1. Wenn man nur ein paar Tage Zeit für einen Aufenthalt in Ungarn hätte, was sollte man unbedingt sehen?

Wenn man nur paar Tage Zeit hat, ist Budapest unbedingt zu empfehlen (die Buda-Burg, der Kossuth-Platz, der Platz der Helden, das Parlament, der Großmarkt auf dem Fővám-Platz, das Opernhaus usw.). In der Nähe von Budapest liegen Szentendre, Esztergom, Visegrad mit bekannten Sehenswürdigkeiten.

Aber Ungarn ist mehr als seine Hauptstadt oder die „Puszta”. Es gibt mehrere wunderschöne alte Städte, beispielweise die historische Stadt Veszprém (Wesprim), die 2023 die Kulturhauptstadt Europas wird oder Pécs (Fünfkirchen), die 2010 Kulturhauptstadt Europas war.

Ich schlage noch sehr gerne z.B. Eger (Erlau) mit der mittelalterlichen Burg vor. Die Stadt ist durch die großen Weinanbaugebiete in der Umgebung und traditionelle, teils unterirdische Weinkeller bekannt (Wer kennt nicht den Rotwein Erlauer Stierblut?).

In der Umgebung der mittelalterlichen Burgen finden alljährlich Festspiele mit kulturellen Programmen statt.

Das Land ist sehr reich an Heil- und Thermalbädern (mehr als 500 supertolle Bäder gibt es in Ungarn). Die Wasserqualität ist hervorragend und die Dienstleistungen sind günstig. Der Heilsee in Hévíz ist der größte natürliche und biologisch aktive Thermalsee der Welt, in dem man das ganze Jahr über baden kann. 

Im Land befinden sich wunderschöne Nationalparks und es gibt mehrere Höhlen, die man besuchen kann.

Sehr beliebt sind Wassersportarten, wie Kajak, Kanu, Rafting auf Flüssen wie z. B. Donau, Theiß, Raab u. a.

Der Balaton (Plattensee) ist der größte Binnensee Mitteleuropas, ein sehr beliebter Urlaubsort. Neben dem Schwimmen und anderen Wassersportarten lohnt es sich, „das ungarische Meer“, die Weinberge an dessen Nordufer, die historischen Sehenswürdigkeiten (Szigliget, Badacsony, Tihany), die Festivals (z. B. das Lavendelfestival) zu besuchen.

Den Naturliebhabern möchte ich noch Dunakanyar (das Donauknie), die Region Őrség (Wache), Tisza-tó (Theiß-See) sowie Északi Középhegység (das Nördliche Ungarische Mittelgebirge) empfehlen.

2. Welche Gerichte würden Sie bei einem Besuch in einem ungarischen Restaurant unbedingt empfehlen? Gibt es auch ein Gericht, das man besser meiden sollte?

Die ungarische Küche hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr geändert und sie ist viel leichter, vielfältiger, gesünder und weniger scharf geworden.

Die traditionelle ungarische Küche bedeutet Speisen mit Paprika. Das Paprikagewürz verwendet man mit Zwiebeln und/oder Knoblauch und oft mit Schmand zusammen. Salami und andere Wurstsorten enthalten oft Paprikagewürz. Wurst im Glas (z. B. Jagdwurst, Leberwurst, Blutwurst) gibt es in Ungarn nicht, aber man kann z. B. Esel-, Hirsch-, Wildschwein-, Kaninchen- oder auch Fischsalami auf den größeren Märkten kaufen.

Das ungarische Gulasch ist eine Suppe statt ein Ragout. Das Ragout heißt in Ungarn „pörkölt“.

In der ungarischen Küche sind die Fischspeisen sehr lecker, z. B. „Halászlé“ (Fischsuppe) oder „Harcsapaprikás túrós csuszával“ (Welsragout mit Quarknudeln).

Auf das Essen einer Gänseleber darf man nicht verzichten. Das trifft auch auf echten „lángos” (Langosch) wie auch auf „kürtöskalács” (Baumstriezel) sowie auf „házi rétes” (hausgemachter Strudel) und „somlói galuska” (Somloer Nockerln) zu.

Die Ungarn mögen einen starken es, Espresso direkt nach dem Mittagessen zu trinken.

In Ungarn gibt es 22 Weinregionen, das Weinangebot ist hervorragend. „Tokaji Aszú“ (Tokajer Ausbruch) ist als ein kostbarer Edelwein in der ganzen Welt berühmt. Man sollte dessen Probe nicht verpassen.

Der richtige Schnaps „pálinka“ enthält 50 % Alkohol, man darf diese „Flüssigkeit“ nur vorsichtig ausprobieren.

3. Was schätzen Sie besonders am Land Ungarn?

Die vielen Erfindungen und die Kreativität sowie der Wortschatz der ungarischen Sprache.

m_fld15_fischerbastei Ungarisch - Interview mit Frau Dr. Marosi - Spracheninstitut Universität Leipzig
Budapest - Blick auf die Fischerbastei
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