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Interview mit Frau Hennig-Tembe

Fragen zur Sprache, zur Mentalität, Land und Bräuchen

A. Hennig-Tembe

Fragen zur Sprache

hennig Hindi - Interview mit Frau Hennig-Tembe - Spracheninstitut Universität Leipzig

1. Auf welche Probleme stoßen besonders Deutsche beim Erlernen des Hindi?

  • Aussprache: Da ist besonders auf die langen und kurzen Vokale zu achten. Wenn diese nicht korrekt gesprochen werden, handelt es sich schnell um ein Wort mit völlig anderer Bedeutung. Gewöhnungsbedürftig sind außerdem die vielen t- und d-Laute - im Hindi jeweils vier.
  • Syntax: Im Gegensatz zum Deutschen steht im Hindi das Verb am Satzende. Ebenso wird der Genitiv sozusagen „von hinten aufgezäumt“. Beispielsweise sagt man für „das Spielzeug des Kindes“ im Hindi „Kind dessen Spielzeug“. Gerade bei längeren Sätzen erschwert dieser Umstand ein unbeschwertes Drauflosreden, da der Anfang des Satzes oft grammatikalisch auf nachfolgende Satzteile abgestimmt werden muss. So muss sich der Sprecher schon zu Beginn des Satzes darüber im Klaren sein, wie der Satz weitergeht.
  • Unpersönliche Satzkonstruktionen: Mit diesen werden Gefühle, seelische und körperliche Zustände u. ä. ausgedrückt. In solchen Sätzen richtet sich die Verwendung nicht nach der handelnden Person. Stattdessen werden der Zustand, das Gefühl o. ä. zum grammatikalischen Subjekt gemacht, während das „logische Subjekt“ eher betroffen als handelnd ist. Beispielsweise: „Mir ist Hunger angehaftet.“ statt „Ich bin hungrig.“, „Mir ist kein Glauben.“ statt „Das glaube ich nicht.“, „Wurde Ihre Hochzeit?“ statt „Sind Sie verheiratet?“
  • Ergativkonstruktion: In den meisten Vergangenheitsformen richtet sich die Endung eines transitiven Verbs nicht nach der sinngemäß handelnden Person, sondern nach dem Objekt der Handlung.
  • Vielzahl an Synonymen: Im Hindi gibt es durch die verschiedenen Spracheinflüsse, vor allem aus dem Sanskrit und dem Persischen, sehr viele Synonyme. Gerade in der Alltagssprache kann es immer wieder vorkommen, dass Hindi-Sprecher prompt das eine Synonym verwenden, welches man gerade (noch) nicht kennt. 
gewurzmarkt Hindi - Interview mit Frau Hennig-Tembe - Spracheninstitut Universität Leipzig
Gewürzmarkt in Indien -
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2. Wie viele Stunden Hindi-Unterricht braucht man ungefähr, bis man sich ohne Probleme im Land bewegen kann?

In circa 100 Unterrichtseinheiten á 45 Minuten kann man das Sprachniveau A 2 erreichen. Davon wären etwa 10 Einheiten für das Erlernen der Schrift einzuplanen. Hindi ist also nicht so schwer, wie viele Leute vielleicht denken würden.

3. Bitte nennen Sie uns fünf Tipps für alle, die Hindi lernen möchten.

  • Systematisches und gründliches Erlernen der Schrift
  • Üben der korrekten Aussprache
  • Frühzeitiges Produzieren von Hindi-Sätzen
  • Lernen von Synonymen und natürlich
  • Freude, Fleiß und Interesse am Land

Fragen zur Mentalität

1. Worin unterscheidet sich der Alltag in Indien und Deutschland besonders deutlich? 

Das ist gerade der Punkt, der den großen Reiz dieses Landes ausmacht, einen aber zuweilen auch an Indien verzweifeln lässt. Während in Deutschland alles genauestens geregelt ist, läuft in Indien zwar schon einiges nach Plan, kommt dann aber doch ganz anders, als man sich das vorgestellt hat. Aber letztendlich funktioniert es trotzdem irgendwie. Ein bisschen davon würde ich den Deutschen wünschen – dann wären sie manchmal weniger verbissen und fröhlicher. Das perfekte Ablaufen von Dingen erleichtert zwar den Alltag ungemein, ist jedoch auch ein Fluch, da das Mitmenschliche verloren geht. In Indien ist es zwar manchmal schon recht chaotisch, aber dafür bleiben die Menschen im Gespräch miteinander, während sie hier in Deutschland oft nur perfekt funktionierende Maschinen sind, die sich schon aufregen, wenn sie an der Supermarktkasse oder am Fahrkartenschalter mal eine Minute länger warten müssen, weil der Verkäufer sich erlaubt, auch mal ein paar persönliche Sätze mit dem Kunden zu wechseln. Dabei machen diese Dinge doch das Leben miteinander aus.

indien1 Hindi - Interview mit Frau Hennig-Tembe - Spracheninstitut Universität Leipzig
Foto: A. Hennig-Tembe.
Eigenes Foto.

So nervenaufreibend das sein kann, begrüße ich es deshalb immer, wenn auch hier mal etwas nicht so glatt läuft – wenn die Straßenbahnen beim Wave-Gothic-Treffen an das dichte Gedränge indischer Busse erinnern, wegen Schneefalls mehrere Straßenbahnen ausfallen oder ähnliches. Das ist zwar in der jeweiligen Situation oft unangenehm, doch fällt mir dann immer wieder auf, dass die Menschen auf einmal viel gesprächiger werden und besser auf einander achten. Leider geht den meisten Deutschen diese „indische“ Flexibilität und Gelassenheit völlig ab.

Während es in Indien sogar normal ist, im überfüllten Bus seine Tasche auf dem Schoß einer sitzenden Person abzustellen, fehlt in Deutschland die Bereitschaft, mal etwas enger zusammen zu rücken, um beispielsweise noch eine Frau mit Kinderwagen einsteigen zu lassen. Da habe ich es schon oft erlebt, dass die Leute im Eingangsbereich stehen bleiben, im Bus nicht durchrutschen und dann zu neu Einsteigenden sagen „Der Bus ist voll“. Das wäre in Indien undenkbar. Ich meine damit nicht, dass die Menschen hier irgendwie böswillig sind. Sie sind jedoch sehr mit sich selbst beschäftigt und halten einen bestimmten Komfort für selbstverständlich.

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Taj Mahal -
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Natürlich ist in Indien auch nicht immer alles schön. Man muss im Alltag oft „kämpfen“, um das zu erreichen, was man möchte. Gerade von Leuten, die mehrere Jahre in Indien leben und auch den normalen Arbeitsalltag mitmachen, höre ich oft, dass es ihnen langt und das Alltagschaos sie zuweilen zermürbt. Ganz wichtig – viel wichtiger als in Deutschland – sind in Indien auch Beziehungen. Davon profitiert man sogar als Gast – oft drückten mir Bekannte und Freunde Visitenkarten von Verwandten oder Freunden in die Hand mit der Bemerkung „er/sie wird dir helfen“. Wenn man dann beim Zusammentreffen den Namen desjenigen nennt, der einem die Visitenkarte überreicht hat, gehen viele Dinge viel leichter. Man sollte da auch kein schlechtes Gewissen haben, da das bei Indern gang und gäbe ist. So hat mir beispielsweise ein Arzt innerhalb von fünf Minuten kostenlos ein verstopftes Ohr freigespült, bei meiner Feldforschung auf einem Dorf in Südindien, wo es keine Restaurants gab, wurde ich von einer Familie mit warmen Mahlzeiten versorgt u.ä.

2. Welches sind die größten Fettnäpfchen, die auf einen Deutschen in Indien warten?

Das sind sicher Ungeduld und Überheblichkeit. Es macht einen extrem schlechten Eindruck, wenn man sich geringschätzig über Kultur und Religion(en) der Inder äußert. Die Inder sind sehr stolz auf ihr Land und ihre Kultur.

indien2 Hindi - Interview mit Frau Hennig-Tembe - Spracheninstitut Universität Leipzig
Foto: A. Hennig-Tembe.
Eigenes Foto.

3. Gibt es ein Lebensmotto der Inder? Wenn ja, wie heißt es?

So ein Motto, was für alle gleichermaßen gilt, wohl eher nicht. Dafür sind die Unterschiede einfach zu groß.

Fragen zum Land

1. Wenn man nur eine Woche Zeit für einen Aufenthalt in Indien hätte, was sollte man unbedingt sehen?

Das ist eine sehr schwere Frage. Gerade für Indien ist eine Woche viel zu kurz. Nicht nur, weil es so viel anzusehen gibt, sondern weil man doch eine gewisse Zeit braucht, um sich an Indien zu gewöhnen. Natürlich hat das Land eine ganze Reihe großartiger Bauwerke zu bieten, auf die die Inder zu Recht stolz sind. Den Taj Mahal sollte man sich natürlich ansehen – mich haben jedoch beispielsweise die Tempelanlagen in Khajuraho viel stärker beeindruckt.

Diese Frage wird vermutlich jeder Indien-Reisende anders beantworten. Es gibt einfach zu viel Interessantes zu sehen. Natürlich gibt es die klassischen Reiseziele, die fast jeder abklappert: Delhi-Agra-Varanasi-Khajuraho und Rajasthan. Ein Problem ist auch, dass in Indien ziemlich große Entfernungen zu überwinden sind, was in einer Woche gar nicht machbar wäre. Es sei denn, man legt alle Strecken per Flugzeug zurück, was ich nicht unbedingt empfehlen würde. Eine Zugfahrt in der zweiten Klasse hingegen würde ich sogar als einen wichtigen „Programmpunkt“ sehen – da bekommt man nicht nur durch das Fenster, sondern auch innerhalb des Zugabteils sehr viel zu sehen – die fliegenden Händler, die an jedem Haltepunkt ihre Waren im Zug feilbieten, die Kommunikationsfreude der Menschen, die verschiedenen Speisen, die aus den Taschen geholt werden, das morgendliche Gebet einiger Reisender…

Grundsätzlich finde ich persönlich es viel spannender, am „normalen indischen Alltagschaos“ teilzuhaben und mit Kultur und Menschen in Berührung zu kommen als von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten zu hasten. Besuche bei indischen Familien, der Besuch eines Hindu-Tempels, eine Busfahrt während der Rushhour, ein Kinobesuch, ein Spaziergang über einen Basar – bei all diesen Gelegenheiten kann man wirklich viel über Land und Leute erfahren, braucht aber mehr Zeit.

2. Welche Gerichte würden Sie bei einem Besuch in einem indischen Restaurant unbedingt empfehlen? Gibt es auch ein Gericht, das man besser meiden sollte?

Eindeutig Masala Dosa! In Leipzig ist das allerdings leider nicht zu haben. Die hiesigen Restaurants bieten vor allem nordindische Spezialitäten an, während Masala Dosa für Südindien typisch ist. Da müsste man schon nach Berlin oder Frankfurt fahren, wo die Palette an indischen Gerichten wesentlich größer ist. Es handelt sich um dünne Reismehlfladen, die mit einer scharfen Kartoffelmischung gefüllt sind. Dazu werden eine scharfe Gemüsesoße (Sambar) und ein Kokos-Chutney serviert. Eigentlich ist es eher eine kleine Mahlzeit zum Frühstück oder für zwischendurch, die jedoch durchaus sättigt.

Ich liebe jedoch auch sehr Malai Kofta, was ich hier in Leipzig bisher jedoch nur in einer „Mogel-Ausführung“ gegessen habe. Um richtig gut indisch essen zu können, sollte man also am besten nach Indien fahren.

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Foto: A. Hennig-Tembe.
Eigenes Foto.

Direkt meiden muss man sicher kein Gericht. Was allerdings gewöhnungsbedürftig ist, sind die extremen Geschmacksrichtungen in Indien. Wenn etwas süß ist, dann aber richtig. Die Schärfe der indischen Gerichte dürfte ja berüchtigt sein. Allerdings bieten indische Restaurants in Deutschland oft nicht „richtig“ gewürzte Speisen an, da das hier keiner essen könnte.

3. Was schätzen Sie besonders am Land Indien?

Die Wärme und Gastfreundschaft der Menschen. Die grenzenlose Vielfalt an Eindrücken, die einen förmlich erschlägt. Die vielen lustigen Dinge, die man dort erlebt. In Indien gibt es einfach alles! Die verrücktesten Sachen kann man dort sehen und erleben – Männer, die Geldmünzen in der Ohrmuschel aufbewahren, Menschen, die mit riesigen Bündeln auf dem Kopf mit dem Bus verreisen, Verehrer des Gottes Khandoba, die wie Hunde bellen ... Überspitzt sage ich manchmal – wenn ich in Indien auf dem Kopf durch die Gegend hüpfen würde, würde das keinen groß beeindrucken. Das ist natürlich etwas übertrieben…

 

Weihnachten...

1. Feiert man Weihnachten in Indien? Spielt Weihnachten in Indien eine Rolle? Gibt es etwas Besonderes, was anders bzw. hier in Deutschland nicht zu finden ist?

In Indien kommt dem Weihnachtsfest nicht so große Bedeutung zu wie in Deutschland. Es ist eins der vielen Feste der unterschiedlichen religiösen Gemeinschaften. Somit spielt es vor allem für die Christen, die 2,3 % der Bevölkerung ausmachen und besonders in Südindien und den östlichsten Teilen Indiens konzentriert sind, eine wichtige Rolle. Im Unterschied zu Deutschland, wo das Weihnachtsfest heutzutage stark kommerzialisiert ist, steht in Indien der religiöse Hintergrund des Festes im Mittelpunkt. Ähnlich wie in Deutschland wird mit Sternen, Öllampen statt Kerzen und Lichterketten dekoriert, und es werden würzige und süße Knabbereien zubereitet. Das Zusammenkommen der Familienmitglieder ist auch in Indien für Weihnachten typisch – doch gerade zu Weihnachten besucht man sich auch stärker unter Freunden und Bekannten.

2. Welches andere vergleichbare Fest gibt es in Indien? 

Feste gibt es in Indien unzählige. Das bedeutendste Fest dürfte wohl Diwali, das Lichterfest, sein. Im Kalender ist es nur mit zwei Feiertagen markiert, tatsächlich erstreckt es sich jedoch über mindestens fünf Tage. Es hat einen hinduistischen Hintergrund – die Rückkehr des Gottes Ram aus der Verbannung, zu dessen Willkommen die Stadt Ayodhya mit Öllampen erhellt wurde. Es wird jedoch, wie viele religiöse Feste in Indien, auch von Anhängern der anderen Religionen gefeiert. Ähnlich wie bei uns zu Weihnachten sind in dieser Zeit Schulferien. Die Leute haben frei und fahren oft an ihren Geburtsort, wo die ganze Großfamilie zusammenkommt. Auch im Ausland lebende Inder fahren zu diesem Fest oft nach Indien. Nachdem das Haus geputzt und geschmückt wurde, werden vor den Häusern unzählige Öllämpchen angezündet und bunte Ornamente aus Farbpulvern und Blüten gestreut. Die Menschen tragen neue festliche Kleidung. Es gibt jede Menge selbst gemachte Süßigkeiten und Knabbereien, die aus großen Metalldosen geholt werden und mit denen sich die Menschen bei gegenseitigen Besuchen beschenken. Nicht zu vergessen sind natürlich die Knallerei und das Feuerwerk, gegen die sich unser Silvesterfest geradezu lächerlich ausnimmt. In Indien wird exzessiv „geknallt“ – nicht nur eine Stunde oder einen Tag, sondern eine ganze Woche lang. Nicht zu Unrecht werden die indischen Böller auch als „Bomben“ bezeichnet, da sie eine ziemlich unangenehme Lautstärke erreichen. Ich hatte das Glück, dieses Fest einmal im Kreis der Familie einer indischen Freundin zu feiern. Diese Tage zählen zu meinen schönsten Indienerlebnissen, auch weil mir die vielen Rituale gezeigt und erklärt wurden.  

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Foto: A. Hennig-Tembe.
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Divali-Fest
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