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Gebärdensprache

Interview mit Frau Kuhnert

Anja Kuhnert

Wir haben unserer Kursleiterin für Gebärdensprache, Frau Anja Kuhnert, die selbst gehörlos ist, ein paar Fragen zum Thema Gebärdensprache gestellt.

Wie lange dauert es im Schnitt, bis Hörende die Gebärdensprache so gut beherrschen, dass sie sich grundsätzlich mit gehörlosen Menschen verständigen können?

Das Lernen der Gebärdensprache im Gebärdensprachkurs reicht natürlich nicht aus, um diese Sprache zu beherrschen. Optimal ist es, wenn man regelmäßigen Kontakt mit der Gehörlosengemeinschaft hat und dort die Sprache anwendet, verbessert und erweitert. Darüber hinaus begegnet man den typischen Umgangsformen der Gemeinschaft (Bsp.: Blickkontakt, Begrüßung, Antippen, um Aufmerksamkeit zu erlangen usw.), die durch steten Kontakt mehr und mehr verinnerlicht werden. Zu vergleichen ist dies mit dem Erlernen einer Lautsprache, beispielsweise Französisch. Wenn man die Sprache lediglich im Unterricht lernt, aber sonst nie benutzt, geht der Sprachgebrauch ein. Wann eine Sprache beherrscht wird, ist zudem ganz individuell und hängt von der Lernqualität ab.

Abgesehen vom Zeichensystem, worin unterscheiden sich die Gebärden- und die Lautsprache am meisten?

Die Gebärdensprache und die Lautsprache unterscheiden sich in der Grammatik. Dies begründet sich darin, dass die Gebärdensprache, im Gegensatz zur Lautsprache, eine visuelle, bildhafte Sprache ist. Ferner gibt es in der Gebärdensprache keine Artikel. Ein weiterer großer Unterschied ist die Benutzung der Hände und Mimik in der Gebärdensprache. In der Lautsprache wird dafür die Stimme eingesetzt. Die Intonation in der Stimme ist hierbei zu vergleichen mit der Mimik in der Gebärdensprache.

Können sich Gehörlose aus verschiedenen Ländern miteinander verständigen?

Ja, das ist möglich. Wenn Gehörlose aus unterschiedlichen Ländern aufeinander treffen, wird sich zumeist durch internationale Gebärden verständigt. Zu vergleichen ist dies in der Lautsprache beispielsweise, wenn ein Spanier und ein Tscheche aufeinander treffen und keiner der beiden die Sprache des anderen beherrscht. Dann wird sich üblicherweise in englischer Lautsprache verständigt.

Denkt man als gehörloser Mensch auch in Gebärden?

Ja, auf jeden Fall. Gehörlose denken visuell, in Gebärden - auch im Traum.

Ist die Gesellschaft ausreichend auf Gehörlose eingestellt? Kann man sich als Gehörloser gut in ihr bewegen?

Die Hauptbarriere für Gehörlose in der Gesellschaft ist die Kommunikation. Innerhalb der Gehörlosengemeinschaft und im Gehörlosenverein stellt dies natürlich kein Problem dar. Dort engagieren und organisieren die Gehörlosen eigenständig und in ihrer Sprache Veranstaltungen, Vorträge, Ausflüge usw. Außerhalb dieser Gemeinschaft jedoch ist es zumeist nicht möglich, an der Gesellschaft teilzuhaben. Bei spontanen Unternehmungen in allen Lebensbereichen, wie beispielsweise bei einem Kinobesuch oder Theaterbesuch oder aber einem Behördengang, stoßen Gehörlose auf Sprachbarrieren, da dort weder Filme in Gebärdensprache oder mit Untertiteln gezeigt werden noch Dolmetscher anwesend sind.

Gibt es eine eigene Gehörlosenkultur? Wenn ja, wie kann man sie beschreiben?

Ja, wie zuvor schon mehrmals erwähnt, gibt es eine eigene Gehörlosenkultur. Das wesentliche Merkmal ist dabei die Gebärdensprache. Die Gehörlosenkultur zeichnet sich durch eigene Sportvereine verschiedenster Sportarten, Gehörlosentheater, vielfältige Veranstaltungen wie beispielsweise die Kulturtage Gehörloser, aber auch durch die Gebärdensprachpoesie und eigene Medien wie Zeitschriften und Internetforen aus.

Gibt es so etwas wie einen Duden für Gebärdensprache? Wer entscheidet, welche neuen Gebärdenzeichen in die Gebärdensprache aufgenommen werden?

Einen Duden für die Gebärdensprache gibt es nicht. Es besteht ein Wörterbuch der Gebärdensprache (Das große Wörterbuch der deutschen Gebärdensprache - Karin Kestner) Jedoch berücksichtigt dies nicht die verschiedenen Gebärdensprachdialekte. Seit Juni 2011 gibt es das DGS-Korpus-Projekt. Dies hat sich zur Aufgabe gemacht, die Gebärden aus ganz Deutschland zu sammeln und gebärdensprachlich aufzubereiten. Voraussichtlich 2020 soll ein umfassendes korpusbasiertes allgemeinsprachliches Wörterbuch der DGS veröffentlicht werden.

Gibt es etwas, das Hörende im Zusammensein mit Gehörlosen tunlichst vermeiden sollten? Gibt es hier „typische“ Probleme?

Allgemein ist es unabdingbar, stets den Blickkontakt mit dem Gesprächspartner zu halten. Typisch für Hörende ist, dass Sie, während sich Hörende und Gehörlose in Gebärdensprache unterhalten, oft in Lautsprache reinreden und so der Hörende abgelenkt und das Gespräch gestört wird. Dies sollte vermieden und stattdessen abgewartet werden.
Außerdem sollte darauf geachtet werden, dass Gehörlose in die Mehrheitsgesellschaft der Hörenden integriert werden. So beispielsweise, wenn ein Gehörloser spontan auf eine hörende Gesprächsrunde trifft. Wenn seitens der Hörenden die GS beherrscht wird, dann sollte diese benutzt werden, wenn nicht, dann mit Zettel und Stift kommunizieren. Da die Kommunikation über die Schriftsprache jedoch kein adäquater Ersatz ist, sollten Gebärdensprachdolmetscher tätig werden, um eine reibungslose Kommunikation zu ermöglichen. 

m_fld15_geba--rde7 Gebärdensprache - Gebärdensprache - Spracheninstitut Universität Leipzig
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